von Lars am 16.06.2016
Bildquelle: Volker Pellen
Zurzeit ist die Fußball Europameisterschaft 2016 in aller Munde. Hochbezahlte Profis mit eigenen Stylisten und Managern rennen einem mit Luft gefüllten Stück Plastik hinterher und wenn sie mal hinfallen kommen direkt Sanitäter und schleppen sie vom Platz. Trotzdem sind Millionen von Menschen von dieser Meisterschaft besessen und kleben vor dem Fernseher. Einige treffen sich sogar in den Straßen von Frankreich und schlagen sich gegenseitig die Köpfe ein. Aber das sind nicht die Schlachten von denen ich nun Berichte. Ich habe zusammen mit 625 weiteren aus 22 Nationen meine eigene persönliche Schlacht geschlagen. Ich hatte dabei nur einen Gegner – MICH. Ich rede von den ersten offenen Europameisterschaften im OCR.
Autor: Volker Pellen
Beim Strong Viking Hindernislauf in Frankfurt erreichte ich den dritten Platz in meiner Altersgruppe und hatte mich somit für die OCR Europameisterschaft qualifiziert. Zunächst habe ich das überhaupt nicht richtig realisiert und dachte mir, naja, noch ein weiterer Hindernislauf in der Saison. Doch je näher der Termin anrückte, desto mehr ging mir die Düse.
Dieser Lauf fand auf der Strecke der Strong Viking Water Edition in Berendonk bei Nimwegen statt. Die 19 km Strecke wurde um ca. 4 km verkürzt, bekam dafür aber ein paar extra Spezialhindernisse dazu. Die Strecke und die Sonderhindernisse blieben lange geheim, doch dann ließ man so nach und nach etwas über Facebook durchsickern. Die Specials waren in der Regel Kombihindernisse, die es wirklich in sich hatten.
Am Freitag vor dem Rennen wurde die Strecke dann offiziell im Castle Wijchen vorgestellt. Zunächst wünschte der Bürgermeister von Wijchen allen Teilnehmern möglichst dreckigen und stinkigen Matsch. Danach wurde die Strecke den Anwesenden Hindernis für Hindernis näher gebracht. Ein großer Teil bestand aus den Strong Viking Hindernissen. Teilweise sogar entschärft. So hatte zum Beispiel die Rampe Storm the Castle zusätzlich Seile angebracht. Am Ende war jedem klar, dass das Rennen bei den OCREC Hindernissen entschieden wird. Zum Schluss gab es noch ein Gruppenfoto und dann fuhren alle mit gemischten Gefühlen aus Vorfreude und Unbehagen wieder ihrer Wege.
Vielleicht ist es nicht besonders clever gewesen, am Vortag der OCR European Championships noch in der ODIN Gruppe der Strong Viking Water Edition zu starten, aber ich bin froh, dass ich es gemacht habe, denn ich konnte viel lernen. Allein der Seilklettertechnik wegen, die ich mir im OCREC Camp abgeguckt habe, hat sich wirklich ausgezahlt. Fit war ich schon an diesem Samstag nicht, denn ich hatte mich noch nicht wirklich vom Mud Masters 24 Hours vor zwei Wochen erholt. Naja, das ist eine eigene Geschichte. Außerdem konnte ich schon meine Startunterlagen abholen. Und das blaue Conquered all Obstacles Armband, welches es mit dem Leben zu beschützen galt (Zitat). Dieses Armband trägt man zum Start. Sollte man ein Hindernis nicht schaffen, obwohl man unendlich Versuche hat, so wird es einem abgeschnitten und man fliegt aus dem Ranking. Man kann allerdings weiterlaufen, um das Rennen zu finishen. Aber eins nach dem anderen. Nachmittags habe ich mir noch ein Seil geschnappt und habe auf dem Spielplatz noch die Klettertechnik geübt.
Es war eine kurze Nacht. Von Schlaf kann man nicht wirklich sprechen. Wir sind bereits auf dem Eventgelände, wenn man so eine Veranstaltung überhaupt Event nennen darf. Überall waren Läufer mit ihren persönlichen Vorbereitungen beschäftigt. Die Startnummer wurde zum Beispiel auf das Shirt geklebt. Das hält doch nie, dachte ich mir noch.
Es wurden alle Teilnehmer an den Start gerufen, um von den Offiziellen willkommen geheißen zu werden und um Regeln und Sicherheitsinstruktionen zu erhalten. Auch Mr. Mouse, der Urvater des OCR, fand sich ein und er hatte ein paar stolze Worte für die Läufer.
Plötzlich ging alles ganz schnell. Die ersten 10 Starter standen an der Startwand. Da das Überwinden dieser Wand bereits das erste Hindernis war und Hilfe nicht gestattet wurde, war die Höhe der eigentlichen Strong Viking Startwand durch eine Rampe verringert. Trotzdem gingen hier schon die ersten Bluebands verloren. Jede volle Minute starteten 10 weiter Läufer. Zunächst die aus der Elite- und dann die Altersklassen. Somit war mein Start erst um 10:39 Uhr. Also noch ein paar Minuten in denen es galt, nicht die Nerven zu verlieren. Noch ein paar „Viel Erfolg High 5s“ mit befreundeten Läufern und es ging in den Startblock. Dort wurde noch mit Filzstift die Startnummer auf die Arme geschrieben. Noch 30,…
Mein Magen war zugeschnürt. Auf das Dixi-Klo bin ich nicht mehr gegangen, denn dort hätte ich mich wohl übergeben. Noch 20,…
Nochmal tief durchatmen, nicht nach rechts oder links gucken, noch 10,…9,…8,…
Boom, es geht los.
Über die Mauer ging es recht leicht. Dahinter begann die Zeitmessung. Zweites Hindernis schon direkt dahinter, eine Brücke mit Treppen. Verdammt, der Hüftbeuger will nicht. Aber seit wann hat ein Muskel zu bestimmen, was ich zu tun habe. Ich nehme gerade an den ersten offenen europäischen Meisterschaften im Obstacle Course Racing teil. Ich bin keine Fußball-Diva. Also Schmerz ignorieren und los. Das Adrenalin erledigt dann den Rest. Dragon Ropes, d. h. Seil raufklettern und oben gegen eine Glocke schlagen. Dank der neuen Klettertechnik ein Klacks.
Ich fühle mich fit für die Hindernisse predige ich mir auf jeden Meter. Vom Lauftempo her kann ich heute nichts reißen. Also muss ich dieses verdammte blaue Armband behalten. Auf dieser Rund 15 km Strecke sollen über 50 Hindernisse auf mich warten. Nun folgte sehr viel Mud, Mud Trenches, Mud Crawl, Mud and more Mud. Tiefer und matschiger als am Vortag. Manche gingen hier komplett unter. Schon stand ich wieder am Strand, wo das Water Crawl Hindernis und die Rampe wartete.
Beides kein Problem. Ergo, laufen verlangsamen und sich auf die Hindernisse konzentrieren. Das erste Spezialhindernis. Wieder musste man ein Seil hochklettern. Ursprünglich sollte man über den Balken oben rüber, aber das hatte man entschärft, weil wohl schon einige gestürzt sind und es sich an diesem Hindernis bereits staute. Jetzt schon. Ihr denkt euch jetzt, was war an diesem Hindernis so speziell. Tja, in der Mitte des Seils hatte man eine Holzplatte angebracht. Da musste man also drüber. Die nächsten blauen Bänder fielen der Schere zum Opfer, aber nicht meins. Nein, das bekommt ihr nicht.
Flying Ragnar ist, wie ich finde, nur eine Kopfsache, auch wenn kleinere Menschen hier nicht unbedingt im Vorteil sind. Man sollte vielleicht auch nicht direkt rüberschwingen, wenn die Glocke noch baumelt (hahaha, das ist ja zweideutig). Abkühlen beim Iceman und dann zur Doppel-Monkeybars, dazwischen Monkeysteps mit Seilen. Monkeybars kann ich, hab ich beim 24h Lauf ausgiebig trainiert.
Auf zum Fjord Drop, der Megarutsche. Moment, man hat Wregbags eingebaut. Auf dem Weg zur Rutsche bekam man vorher einen 25 kg schweren Sack aufgeladen, den man vorm Rutschen wieder abladen konnte. Dann ging es ab. Dieses Mal flogen mir die Beine noch höher als gestern. Mein armer Popo. Der tat mir vom Strong Viking Lauf noch weh.
Schmerz vergeht, also den Wregbag wieder aufladen und zurückbringen. Der nächste Stau vor einem OCREC Hindernis wartet auch schon. Das wollte man doch mit der neuen Startvariante verhindern. Nun gut, nach einer gewissen Wartezeit ging es den Schrägbalken mit Hilfsseil rauf. Dahinter direkt eine Seilbrücke. Ein Netz unterqueren und ein Netz überqueren und wieder eine Seilbrücke, aber diesmal darf man die Beine nicht mitbenutzen. Souverän gemanagt.
Kleine Laufstrecke zum Jump, welcher mind. 5m hoch ist. Ich persönlich tippe mehr. Nach dem Jump muss man schwimmen und danach natürlich wieder laufen.
Es kann sein, dass ich nun einige Hindernisse durcheinanderwerfe. Bitte seht mir das nach. Ich krieg sie nicht mehr zusammen.
Ich glaube zunächst kamen drei verschieden Wände und anschließend Gunnar’s Struggle. Blaues Armband noch dran? Check!
Vor dem Hillclimb mit Sack auf den Schultern muss wohl irgendwo Halbzeit gewesen sein. Halbzeit??? Es kommt mir vor, als wäre ich schon eine Ewigkeit unterwegs.
Oben auf dem Hill stand die Strong Wall. Sack drunter her und dann rüber. Zuerst war geplant, dass der Sack auch rüber geworfen werden musste, aber aus Sicherheitsgründen hat man davon abgesehen.
Weiter über die Log Road, d. h. 10 Querbalken übersteigen, sowie auch die Two Bars, danach Water Logs und Water Cage, alles klassische Strong Viking Hindernisse. Genauso wie Log Drag, schwimmen und andere Wasserlöcher gehören natürlich zur Water Edition. Hier irgendwo in diesem Bereich muss auch das nächste OCREC Hindernis gewesen sein. Wand überklettern und von dieser ohne den Boden zu berühren an ein Seil springen. Daran hochklettern und den Beem überqueren, damit man dann anschließend am Seil runter zum Boden klettern konnte.
Auf jeden Fall musste man nun wieder über eine lange Seilbrücke.
Zunächst erstmal warten, bis ein Seil frei war. Dann unten dran hängen und rüber hangeln mit Hilfe von Hand und Fuß. Am anderen Ufer angelangt stieg ich, wie am Vortag ab und wollte gerade weiterlaufen. Ein Official stellte sich mir in den Weg und sagte, dass ich bis zum Flatterband hätte durchklettern müssen. Ich war, wie gelähmt. Er sagte nur: Retry or loosing your Band??? Dieser Satz war nicht sehr hilfreich, meinen Schockzustand zu lindern. Ich schwamm also zurück und musste wieder warten. Ich bin zwar nicht wirklich schnell gewesen, aber ich bin bisher auch nicht wirklich oft überholt worden. Im Gegenteil konnte ich einige Plätze gut machen. Durch das Warten war das aber mittlerweile egal geworden. Ein zweites Mal rüber hangeln wäre nicht gut gegangen, also legte ich mich nun auf das Seil und schob mich Stück für Stück vor. Wenn man einmal die Mitte überwunden hat, wackelt es nicht mehr so und man kann schneller vorkriechen. Flatterband berührt und abgestiegen. Ich war so sauer.
Das jetzige Rope Climbing unterschied sich nur darin von den anderen, dass das Seil sehr viel dicker ist. Hatte aber ohne Probleme geklappt.
Next OCREC Obstacle, senkrechte Pfähle und von einem zum anderen Klettern. Einfach Geschwindigkeit halten, war der Tipp des Officials. Bis hierhin lief alles gut, naja, bis auf das Tempo.
Noch ein OCREC Hindernis. Balken wie an einer Seilbrücke langhangeln auf ein Netzdach rauf und dieses überklettern und auf der anderen Seite wieder ein Balken, wie der erste. Check.
Wie gesagt, die Reihenfolge ist ohne Gewähr.
Noch einen Reifen über eine Strecke hin und zurück geflippt und einen Hang raufgekrabbelt und über, unter, über, unter, … den Weaver und ich stand in der Schlange vor dem finalen Hindernis. Ich war nun sehr zuversichtlich, mein Blueband zu halten, hatte ich es bis hierher geschafft. Dieses Hindernis und ca. 50 m trennten mich vom Ziel.
Warten, warten, warten. Es dauerte ewig, bis man an das Hindernis ran konnte. Und es fing auch noch ordentlich an zu regnen. OK, eine Wand. Von da aus eine durchhängende Seilbrücke und von dieser auf ein Netz. Dieser Übergang war schon nicht einfach, aber es ging. In der Mitte des Netzes ein Seil rauf klettern und über den Balken rüber wieder auf das Netz. Am Ende runterklettern. Nur noch ein paar Ringe und Holzschuhe. Den größten Teil hatte ich. Ich hatte noch Kraft, aber der Regen machte die Kunststoffringe total glitschig. Ich versuchte mich rüber zu hangeln und glitt einfach ab. Einfach so. Wieder zurück zum Anfang und warten, warten, warten. Ich fror und zitterte am ganzen Körper. Der Adrenalinspiegel sank und die Muskeln wurden kalt. Allein beim Stehen fingen sie an zu krampfen. Warum zum Teufel muss man hier so lange warten. Wieder die Wand rauf, die Seilbrücke rüber hangeln und der Versuch auf das Netz zu kommen. Krämpfe in beiden Bizeps beim hoch ziehen.
Trotzdem hat es mit Ach und Krach geklappt. Auch der Balken in der Mitte des Seils konnte überwunden werden. Vor mir war jemand gestürzt und die Sanitäter versorgten ihn. Das Hindernis war gesperrt und wir mussten wieder warten, oben auf dem Netz. Der Regen hatte zum Glück aufgehört, aber ich war durchnässt und mir war saukalt.
Nach einigen Minuten war das Hindernis wieder frei. Also ran an die Ringe. Es fühlte sich gut an, das Ziel vor Augen zu haben. Dann beim letzten Ring, beim LETZTEN, Krämpfe in beiden Unterarmen.
Das war es. Ein weiterer Versuch hat auch keinen Sinn mehr. Ich ging zum Official und ließ mir das blaue Band abschneiden. Es war, als würde er mir das Herz rausreißen. Völlig niedergeschmettert lief ich durch das Ziel. Keine Freude, kein Stolz. Das Abklatschen im Ziel und den Erhalt der Medaille hab ich nur beiläufig mitbekommen. Alles lief wie in Zeitlupe an mir vorbei. Irgendjemand hat mich noch umarmt. Meine Frau kam auf mich zu, genauso fassungslos wie ich. Sie wusste, dass Worte nun nicht mehr helfen.
Ich wollte nur noch mein Shirt und nach Hause. Shirts gab es nur noch in XL und XXL. Davon aber eine ganze Menge. Bitte? Wie viele Leute mit Shirtgröße XXL laufen bei der OCREC mit???
Duschen und den Finisher „Poncho“ angezogen. Die Medaille verschwand in der Tasche und wurde nur zum Abschlussfoto kurz hervorgeholt. Ich fühlte mich unendlich leer.
Liebes OCRA-Benelux Team. Ich möchte mich für diese großartige Veranstaltung bedanken. Ich bin sicher, dass ihr, bzw. wir auf dem richtigen Weg sind. Pannen sind dazu da, damit man sie beim nächsten Mal nicht mehr macht. Solche langen Wartezeiten sind für diese Veranstaltung nicht annehmbar. Auch den Modus für manche Hindernisse während des Laufes zu ändern (Ufo) kann für Unfrieden sorgen. Ich allerdings kann es nachvollziehen, denn Sicherheit geht vor und keiner hat etwas davon, wenn es weitere Verletzte gibt. Von den Spitzenläufern gab es wohl auch die Frage, warum bei der Rampe Seile hingen und beim untergeordneten Strong Viking nicht. Da kann ich den Unmut nun überhaupt nicht verstehen. Ich glaube nicht, dass dadurch ihre Platzierung gefährdet wird. Ich denke, da kann man mal auf das Wir Gefühl der OCR Community hören. Schlimmer finde ich da die Teilnehmer, die Betrügen und dadurch im Ranking steigen.
Das mit den T-Shirts kann man umgehen, wenn die Teilnehmer bei der Anmeldung einfach ihre Größe angeben, d. h. Anmeldefrist. Eine Verpflegung im Zielbereich halte ich für selbstverständlich. Vielleicht gab es auch eine und ich habe sie in meinem Kummer einfach nur nicht gesehen.
Alles in allem war es ein Riesenfest. Bitte mehr davon. Glückwunsch zu einem gelungenen Auftakt, einem harten und schweren Race, wovon viele sagen: „Mein erstes wirkliches Hindernisrennen.“ Vielen Dank an die tolle Arbeit der Officials und Volunteers. Bin sehr gespannt auf die 2. European OCR Championships.
Am Tag danach konnte ich kaum laufen, weil mein Hüftbeuger jetzt total zu gemacht hat. Außerdem bekam ich beim Streicheln des Hundes einen Krampf im Unterarm. Nun ist erst Mal Pause und Erholung angesagt.
Zum Ende möchte ich mich natürlich noch bei meinem Sponsor BodyCross Grefrath bedanken.
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